Texte aus dem Jahr 2007
An den Wasserscheiden des Denkens*
Ein Versuch über die Verbindlichkeit der Zeichen
Pavel Florenskij, An den
Wasserscheiden des Den-
kens. Ein Lesebuch, hrsg.
von Sieglinde und Fritz
Mierau, Berlin 1994 [2.
Auflage].

von Christoph Kivelitz
**  Hannes Kater verstehen.
Eine Sympathiebroschü-
re, Braunschweig 2000,
S. 5. Mehr hier.

   „Kann man Denken zeichnen? Kann man zeichnend denken? Welche Prozesse finden wie und wo statt, wenn man denkt? „Datenverarbeitung“ – und nicht Signalübertragung und Signalspeicherung – bildet doch wohl den Kern der kognitiven Prozesse. Die für Rechenprozesse im logisch-mathematischen Bereich notwendigen Beziehungen verstehen wir heute recht gut, daher auch die erfolgreiche Computerentwicklung. Die Struktur semantischer Beziehungen aber, wie sie in der funktionalen und anatomischen Organisation unseres Gehirns verkörpert ist und uns auf andere reagieren und mit anderen durch Sprache und Verhalten interagieren lässt, wird erst langsam verständlich“.
**

   Absonderliche, in sich verschlungene Gebilde sind es, die Zeichnungen und Rauminstallationen von Hannes Kater. Man möchte sie eigentlich eher Systeme oder Organismen nennen, denen zwar eine narrative Komponente zugrunde liegt, die aber in erster Linie komplexe Zusammenhänge, Verkettungen von Figuren, Dingen und Zeichen, vielleicht gar chemische Reaktionen, physikalische Prozesse oder soziale Bezüge und Ordnungsmuster zur Anschauung bringen. Einzelne Elemente treten deutlich als Mikrostrukturen hervor: Gesichter, Gefäße, Gebäude, in denen sich Kraftzentren zu verdichten scheinen. Hieraus entfalten sich szenische Momente, polyzentrisch angelegt, durch Pfeile, Linienformationen, hieroglyphisch anmutende Zeichenstrukturen vielschichtig miteinander verknüpft. Es mag sich um eine Art Geheimsprache handeln, um einen visuellen Code oder einen wissenschaftlichen Parameter, der systematisch analysiert und entschlüsselt werden kann. In jedem Fall drängt sich dem Betrachter das Bedürfnis auf, einzudringen in das, was sich ihm als Rätselbild darstellt, um es damit auf eine begrifflich-logische Aussage zurückzuführen. Gleichzeitig erliegt er aber auch der Faszination der in ihrer Klar- und Einfachheit gleichsam pflanzenhaft oder organähnlich sich formenden Gebilde, als gestalte sich hier eine eigenwertige Wirklichkeit mit allein ihr inhärenten Gesetzen und Zielen, jenseits aller rationalen Zweckbestimmungen.

Pavel Florenskij, , zit. n.: http://www.kontextverlag.de
   Der russische Philosoph, Priester und Mathematiker Pawel Florenskij (1882-1937) beschreibt in seiner Untersuchung zu „Denken und Sprache“ das Zeichen als in erster Linie materiell und autonom. Wort und Bild versteht er als substantielle Dinge oder Prozesse, die ihre eigene Realität haben und auf den bloßen Ausdruck von etwas anderem nicht zu reduzieren sind. Die Befreiung der Worte und Bilder von inhaltlichen Bezügen ist zugleich Programm von Suprematismus und Konstruktivismus. Florenskij selbst erkannte schon die Nähe seiner Sprach- und Lebensphilosophie zu den Zielsetzungen der Künstler des Symbolismus, die im 19. Jahrhundert Rede als Schöpferisches aufzufassen, das Wort in jedem einzelnen Akt des Sprechens neu zu erschaffen suchten, dem Stil und der Natur jeder Sprache gemäß. Dieses ganzheitlich-organische Denken verstand Florenskij als notwendige Alternative zum begrifflich-logischen Denken der Wissenschaft und Schulphilosophie. Die Struktur seiner Vorgehensweise betrachtete er als Gewebe mit einzelnen Gedankenknoten, das auf „Blütenstände von Fragen“ kaum Antworten zu geben vermöge:
   „In diesem Netzwerk sind auch dem, der das Netz geknüpft hat, nicht sogleich alle Beziehungen seiner einzelnen Knotenpunkte untereinander deutlich und nicht alle möglichen wechselseitigen Verknüpfungen der gedanklichen Mittelpunkte: Auch ihm eröffnen sich unverhofft neue Wege von Mittelpunkt zu Mittelpunkt, die ohne die direkte Absicht des Autors durch das Netz schon angelegt sind“
.*

Unveröffentlichter Text
von Hannes Kater,
S. 9-10, 1998.
   Es artikuliert sich ein kreisendes Denken, das in anschwellenden und zurückweichenden Rhythmen seine alltägliche Lebensphilosophie permanent neu formuliert. Diese Haltung prägt sich durchaus ähnlich im zeichnerischen Werk von Hannes Kater aus. Dabei bewegt sich sein Schaffen zwischen der Produktion von Zeichnungen und Rauminstallationen einerseits, der theoretischen Reflexion und Befragung dieser Arbeit andererseits. In permanenter Annäherung verfolgt er die Problematik, welche Bedeutung in diesem seinen Handeln zu finden sei, um gleichzeitig die Möglichkeit einer funktionalen Ausrichtung seiner künstlerischen Praxis ganz grundsätzlich anzuzweifeln. Dazu macht Hannes Kater sich, das Thema umschwimmend, ausweichend, immer wieder neu startend, nicht etwas eindeutig erklärend, die unterschiedlichsten Standpunkte zu Eigen.

   Im Hinblick auf seine künstlerische Methode spricht Hannes Kater von sich selbst als „Zeichnungs-generator“. Dabei fasst er das Anfertigen von Zeichnungen nicht als mechanisierten, rein technisch gestimmten Prozess auf; Kater betrachtet diesen eher als ein fortdauerndes szenisches Projekt, das sich durch „Darsteller“ und dramaturgische Konstellationen beständig neu formuliert. Sein zeichnerisches Werk entfaltet sich auf unterschiedlichen, z.T. ineinander verschränkten, z.T. auch diametral entgegen gesetzten Ebenen. Die Zeichnungen unterliegen einem streng formulierten Gestaltungsmuster. Mit nur zwei, maximal vier Farben entwirft Kater mit Filzstiften seine Arbeiten auf Standardformaten wie DIN A4 oder dem amerikanischen Letter. In der Umsetzung rekurriert der Künstler auf ein Repertoire von Symbolen, die sich assoziativ mit neu gefundenen Formen verbinden, in organische Strukturen einfließen, um schließlich neuen kompositorischen Ordnungen subsumiert zu werden.

   Im Hinblick auf den Rezipienten sieht Hannes Kater durchaus die Notwendigkeit der Versprachlichung seiner Position und hat in diesem Sinne eine Art „Übersetzungsprogramm“ entwickelt. Die Bildkürzel werden hierbei auf motivische oder figürliche Vorstellungen bezogen. Die ins Leben gerufenen „Darsteller“ setzen Inhalte, Gefühle, Empfindungen und Erinnerungen um, die durch eigene Erfahrungen, persönliche Erlebnisse oder dem Künstler überlassenen Texte ausgelöst wurden. Hannes Kater entwirft eine Systematik, deren Struktur und Logik er durch permanente Transformationen und Bedeutungsverschiebungen innerhalb dieses Repertoires wieder außer Kraft setzt oder zumindest in Frage stellt. Auf seiner persönlichen Website 4 dokumentieren tagebuchähnliche Notate – zu „Jahresblöcken“ zusammengefasst – den stetig anwachsenden Bestand an Zeichnungen. Darüber hinaus funktioniert die Web-Präsenz von Hannes Kater als ein selbstreferentielles System mit eigenen Codes und Verknüpfungen, die den Nutzer interaktiv in ihre amorphen Strukturen einbeziehen. So umfasst die Website eine vollständige, kontinuierlich überarbeitete Liste der „Darsteller“. Indem diese in einem „Lexikon“ komplett erfasst und erläutert sind, artikuliert der Künstler einen Anspruch objektiver Distanz. Wie zu einer wissenschaftlichen Untersuchung werden die einzelnen „Darsteller“ zunächst isoliert – gleichsam in ein Setzkastensystem eingebracht -, dann durchnummeriert und in ihren Bedeutungskonnotationen assoziativ umschrieben. Diese enzyklopädisch erklärende – und gleichermaßen auch wieder verunklärende – Methodik zeigt dann jedoch, dass es sich weniger um Verkörperungen konkreter Begriffe und Ideen handelt, als vielmehr um periphere Umschreibungen nur gefühlsmäßig nachzuvollziehender Empfindungsweisen, persönlicher Haltungen und Beziehungen.

   Darsteller Nr. 12 bezeichnet als „Brothirn“ etwa ein „archaisches oder instinktgeleitetes Denken“. Nr. 08 visualisiert als „Mundkette“ „Gerede, Klatsch, soziale Kontrolle“, Darsteller Nr. 11 kommt zum Einsatz, wenn es darum geht, „etwas verdrängen oder vergessen zu wollen“, indem er „(unbestimmt) negative Ahnungen“ nahe bringt, während Nr. 26 „Ausschnitt und beschränktes Weltbild“ visualisieren soll. Die Darstellerketten werden akribisch in Tabellen gegliedert, in ihren Permutationen und Metamorphosen mit einer wissenschaftlich anmutenden Pedanterie verfolgt und so in einem mehrdimensionalen Koordinatensystem verortet. In einem Schwellenraum zwischen individueller Erinnerung, diffuser Wahrnehmung und Versprachlichung skizzieren die Zeichnungen Anhaltspunkte und Verbindungen, beschwören Zusammenhänge, die dann wiederum durch a-logische Verknüpfungen aus jedem narrativen Kontext abgekoppelt werden und das semantische Gefüge von innen heraus aufsprengen. Ziel des Zeichners ist es, in sich schlüssige und für sich sprechende Modelle zu errichten, die als abgeschlossene Organismen mit einer inhärenten Logik und einer eigenen Sprache funktionieren, gleichzeitig aber transitorisch-prozessual die Grenzen und die Starrheit eines sinnhaften Bedeutungskomplexes auf ein polyzentrisches Universum aufbrechen: „Wahrheit als etwas, was für mein Gefüge, meine Art zu verstehen, die Dinge um mich rum zu interpretieren und zu ordnen, steht. […] Natürlich kartographiere ich im Laufe der Zeit meine Reisewege, versuche es zumindest, aber sie bleiben mir seltsam fern, diese Karten der geistigen Reisen. Eine Kontinuität, eine Sicherheit will sich nicht einstellen. Eigentlich startet man immer wieder bei Null, ist man versucht zu sagen. […] Diese Erzählungen gruppieren sich zu Gruppen, umkreisen aus verschiedenen Blickwinkeln, ausgehend von verschiedenen Anlässen, zu verschiedenen Zeiten entstanden, sich bewusst aufeinander beziehend oder sich gegenseitig ignorierend, ein Thema, das nicht auf den Punkt zu bringen ist. Denn dann hätte man es grob entstellt und sinnentleert“.
*

Unveröffentlichter Text
von Hannes Kater,
S. 9-10, 1998.
   Das Darstellerrepertoire von Hannes Kater berührt assoziativ unterschiedliche zeichnerische Verfahren, die das Spannungsfeld von Bild und Text in immer neuen Positionen besetzen und bis zur Ununterscheidbarkeit verschwimmen lassen. Zum einen erschließen sich die Wucherungen heterogener Bildformationen als „écriture automatique“, verstehen sich aus dem Blickwinkel des Surrealismus als Vergegenwärtigungen der Bilder und Vorstellungen des Unbewussten, von Wahn und Traumgesicht. Während sich auf dieser Ebene der Anschauung Irrationales zu verbildlichen scheint, lassen sich die schematisch strukturierten Werke doch gleichermaßen auf Systemmodelle aus Biologie-, Physik- oder Chemielehrbüchern zurück beziehen. So lassen die zeichnerischen Elaborate sich möglicherweise als Diagramme deuten, die statistische Erhebungen über ökonomische, soziale Verhaltensmuster, Entwicklungen oder Strukturen auswerten und visualisieren sollen. Vor Augen tritt auch das Organigramm als Darstellung von Organisations- und Kommunikationsabläufen in einem begrenzten Sozialsystem wie einem Unternehmen oder einer abgeschlossenen gesellschaftlichen Gruppierung. Eventuell handelt es sich auch um Piktogramme, allgemeinverständliche Bildzeichen zur Steuerung von Verhaltensweisen in gesellschaftlichen Systemen im Sinne der Informationsvermittlung jenseits sprachlicher Barrieren. Aus einer wissenschaftlichen oder zweckrationalen Perspektive könnte es sich durchaus um schematisch reduzierte Verbildlichungen eines Erkenntnisgehalts über organische Zusammenhänge, Populationsstrukturen, Evolutionsabläufe oder genealogische Beziehungsketten handeln. Dem Anspruch auf eine objektive Darstellung von belegbaren Fakten hält der Künstler allerdings in der Selbstreflexion seiner Arbeit entgegen: „Es gibt keine sichere Deutungsebene für die einzelne Zeichnung. Es gibt keine vollständige Legende zu den Zeichen einer einzelnen Zeichnung. Wichtiger als jedes Deutungsresultat eines Zeichensystems einer Zeichnung ist die Erkenntnis des Deutungsverfahrens, das Grundlage für die Entscheidungen während des Zeichnens ist.“*

Hannes Kater in einer
Email an den Verfasser
vom 29.03.2007.
.
   Im Blick auf die Bild-Text-Relationen verliert sich der analytische Blick in einem Strudel möglicher Herleitungen, Perspektiven und Standpunkte, so etwa angesichts der Ähnlichkeit der zeichnerischen Organismen von Hannes Kater mit Hieroglyphen oder chinesischen Schriftzeichen: „Sprache, Zeichen (als Praxis, also Formen des Sprechens, des Zeichnens), als Zugang zum „Unbewussten“, Unterbewussten. (Die Zeichnung als Orakel) (These zur chinesischen Schrift: sie sei entstanden aus den Regeln zur Deutung (lesen) der Orakelknochen, das waren Knochenstücke, die erhitzt wurden und die dann entstandenen Risse wurden gedeutet).“

Pavel Florenskij...
   In einer weiter führenden Transgression gewinnt die Zeichnung eine antizipatorische Qualität und stößt damit in zeitliche Dimensionen vor, die dem Betrachter mögliche Verknüpfungen von Bild und Text, narrative Bezüge und Deutungsaspekte gleichsam prophetisch erschauen lassen. Die jeweilige Inhaltlichkeit ist nicht a priori gegeben, sondern ständig zu relativierendes Ergebnis eines subjektiven Anschauungs- und Empfindungsprozesses. Hannes Kater formuliert zeichnerisch eine Art Partitur, die in einem musikalischen Impuls durch freie Improvisationen und spontane Interpretationen in der Interaktion von Künstler und Rezipient, Bild und Zeichen überhaupt erst zur Aufführung gelangt. Indem der Betrachter – angeregt durch die polyvalenten Erklärungsmuster des Künstlers – die „Darsteller“ seinerseits in bestimmten Rollen szenisch zur Entfaltung bringt, nimmt er produktiv an der Genese und Fortentwicklung des künstlerischen Projekts von Hannes Kater Anteil und folgt damit dem hiermit formulierten Modell für künstlerisches und soziales Handeln – dauernd hin- und hergerissen zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen, Identifikation und kritischer Distanz.

   Als ein sich ständig erneuerndes Multiversum wuchern die Zeichnungen von Hannes Kater sich als organisch wachsendes Geflecht allmählich zu raumgreifenden Installationen aus. So wie der Fluss der Gedanken, der Ereignisse, der Zeit – dem „stream of consciousness“ von James Joyce nahestehend – nahezu endlos ist, so ist auch das Anschwellen der Bilder allein durch äußere Vorgaben und Eingriffe zu begrenzen. Treffend lässt sich hier abermals auf die auch von Florenskij genutzte Metapher des Netzes zurückgreifen:
   „Das Netz bricht mit einem linearen Zeitbegriff, mit Vorstellungen einer hierarchisch geordneten Verfassung der Wirklichkeit, steht für Kommunikation, Komplexität und Offenheit. Es kann sich grenzenlos ausdehnen. Anders als das Ornament, welches das Narrative gegenwärtigen Erlebens in Konstruktionen einfriert und als strukturierendes, ordnendes Element universalen Regelmäßigkeiten folgt, dient das Netz als Modell der Selbstorganisation eines sich stets wandelnden und sich permanent neu erfindenden Ichs“.
*

   Die Installationen von Hannes Kater überführen die monadologische Abgeschlossenheit und Vollkommenheit der linear angelegten zeichnerischen Organismen endgültig in ein zeit-räumliches Kontinuum und radikalisieren bzw. verabsolutieren den ihnen latent eingeschriebenen Drang zu Erweiterung, Dekomposition und Neugestaltung. Durch den Einsatz von Overhead-Projektoren werden Licht- und Schattenwirkungen als symbolische Bezugs- und Anschauungsebenen eingebracht. Plastische Versatzstücke aus Styropor lassen den vielschichtigen Aufbau der zeichnerischen Entwürfe, der Linienkürzel und Bildsymbole in die architektonischen Strukturen des Ausstellungsraumes einwachsen. Die in der „Übersetzungsprogrammatik“ skizzierten inhaltlichen Verknüpfungen verweben sich durch erweiterte Verfahren der Kombinatorik, des Schnitts und der Montage zu einem multidimensionalen Deutungsdschungel. Dabei wird die Differenz zwischen dem Gedankenbild, so wie es durch den Künstler aus eigener Anschauung heraus konturiert wurde, und den Rezeptionsweisen, die hierdurch beim Betrachter ausgelöst werden, dem zeichnerischen Projekt als subversive Geste eingeschrieben. Der Bilder-, Zeichen- und Textkosmos, der sich auf der Website von Hannes Kater autonom und eigengesetzlich entwickelt, ständig neu generiert und transformiert, dringt in den Rauminstallationen plastisch-körperhaft in den Erfahrungsraum des Betrachters vor. Labyrinthisch wuchernd überlagert dieses vieldimensionale Gebilde die räumliche Situation. Die orthogonale Ordnung der vorgefundenen Architektur nur vage reflektierend, entwachsen die zeichnerischen Formationen Wand, Boden und Decke, um sich über Pfeile, Rasterstrukturen, Stelzen und eingeschobene Platten mit weiteren Organismen zu verbinden und sich in immer weitere raum-zeitliche Ebenen einzuschleichen.

  .
* Maurice Merleau-Ponty,
La Prose du Monde,
Paris 169, S. 55 f.
   Das lexikalische Erklärungsmodell in die Hand nehmend, zeigt sich der in diesen Kosmos eingeschlungene Betrachter bemüht, sich einer inhaltlichen Deutung anzunähern, um das sich mehr und mehr der narrativen Logik entziehende Kunstgewächs zu bezwingen und zu beherrschen. Doch allmählich und unweigerlich verflüchtigt sich jedes Erklärungsmuster. Im Sinne Florenskijs setzt Hannes Kater eine Logik der Diskontinuität ins Werk, die irgendeine wie auch immer geartete Abbildung von Wirklichkeit in Form eines deduktiven Systems als Möglichkeitsformel zwar aufscheinen lässt, diese aber letztlich durch immer neue Operationen des Grenzübergangs in jeder Hinsicht ausschließt. Hannes Kater durchbricht jeden Ordnungsrahmen, um im Sinne Merleau-Pontys, ein offen-endloses Vermögen des Bedeutens in Anspruch zu nehmen und damit – en accord mit dem französischen Phänomenologen – aufzuzeigen, dass in dieser immensen Geschichte, wo nichts plötzlich endet oder beginnt, in diesem nie versiegenden Gewimmel abweichender Formen, in dieser unaufhörlichen Bewegung der Sprachen, […] es schließlich streng genommen nichts anderes gibt als eine einzige Sprache im Werden.* In der Beschreibung dieses zeichnerischen Unterfangens, im Bemühen, diese „Sprache im Werden“ in Worte zu überführen, muss der Exeget letztlich sein eigenes Scheitern erfahren. Die Sehnsucht, den Zeichnungen ein Geheimnis zu entbergen, den „Darstellern“ in ihrem hieroglyphischen Ausdruckstanz den Schleier zu entreißen, führt uns letztlich in Kreisbewegungen in die unendliche Tiefe der platonischen Höhlen. Die dort eingelagerten Mysterien offenbaren sich nur zum Schein. Im Schattenbild vergegenwärtigt sich die unüberbrückbare Distanz von Zeichen und Bedeutung, Reflex und Wirklichkeit, Idee und Begriff. Hieraus resultiert eine Haltung der Skepsis, immer noch fragend, aber niemals sich verschließend, voller Neugier und Spannung auf jede weitere Geste des Künstlers. Irritierend, subversiv, verheißungsvoll lässt Hannes Kater die Grenzen von Bild und Text, Zeichnung und Raum, autonomer und narrativer Bezüge, jegliche Antinomien in einem filmisch-musikalischen Kontinuum ineinander verfließen. Provokant fordert seine Praxis die Erklärung ein, um aber gleichzeitig alle Deutungsmuster auszuhebeln und – für sich und sein zeichnerisches Werk – eine gleichsam anarchische Freiheitsposition zu besetzen. Dem Autor bleibt an diesem Punkt nur, sich redlich mühend, endlos weiter zu schreiben und zu rätseln, oder aber einfach aufzuhören, gespannt darauf harrend, welche Querverbindungen und Schnittpunkte sich ihm an den „Wasserscheiden des Denkens“ wohl noch zeigen werden.


 Zum Seitenanfang



[ Home | Zeichnungsgenerator | Aktuell | Zeichnungen | Projekte | Texte | Service ]
[ Impressum | Mail an Hannes Kater ]