Texte aus dem Jahr 1996
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Raum-Kunst / Kunst-Raum oder wie eigne ich mir einen Raum an

Von: Anne Mueller von der Haegen
Zu: Zentrale Eingangshalle. Ein Ausstellungsprojekt von Hannes Kater und Hinrich Schmieta. Braunschweig 1996.

Mitten in Braunschweig – na es kommt immer darauf an, welchen Schwerpunkt ich zu setzen bereit bin: Klassisch-herrschaftliches und geschichtliches Zentrum, also Burg und Dom? Bürgerliches oder gar bildungsbürgerliches Zentrum, also Universität oder vielleicht doch das gute Wohngebiet ums Theater herum? Bildung ja, denn in dem Haus aus den frühen 60er Jahren war mal die Volkshochschule, aber Zentrum? Im Dreieck von Bürgerpark, Altem Bahnhof und Münzstraße ehemals renommiert und wichtig. Heute ein Zentrum, eingenommen von Zuhältern, Huren, Künstlerinnen und Technofreaks – billiger Wohnraum, Bordelle, Kneipen und Strich, Parkhaus und Kino eng nebeneinander.

Die alten Volkshochschulräume stehen leer, das "Bürgerradio" Okerwelle will einziehen, nutzt schon einige der Kabuffs, die durch langjährige Büronutzung miefig, abgeblättert, staubig, gequält aussehen und riechen und es gibt eine Eingangshalle und die ist neu gestrichen. Das Entree ist für die alten und neuen Gebäudenutzer offenbar wichtig – nicht wirklich groß, nicht wirklich großzügig, aber durch die Glasfront, die geschwungene Treppe und die Proportionen doch diesen Eindruck vermittelnd. Leuchtstoffröhrenkästen, flach und quadratisch praktisch gut, erscheinen wie weiträumig verlegte Fliesen an der Decke und geben dieses überaus anheimelnde, kalte Licht durch ihre Milchglasscheiben. Was sollte hier eigentlich beleuchtet werden? Möglicherweise der graue, jedem Mief vergangener und gegenwärtiger Zeiten angemessene Linoleumfußboden, dessen Anblick allein den Geruch von Bohnerwachs und Gummibaum evociert.

Eine andere Situation wird geschaffen: Graue Malerpappe, neu verlegt, ohne Spuren ihrer eigentlichen Bestimmung ist an den Rändern ausgelegt. Die Milchglasscheiben der so praktischen Leuchtkasten sind zu einem weißlichen Turm gestapelt. Drei Bierkästers daneben wiederholen die Form korrespondierend zu dem einen freistehenden Pfeiler der Halle. Die Treppe, einst sicherlich der Stolz eines Bauamtsarchitekten, ist verhüllt in gräulich-bräunlichem Packpapier – Form und Funktion werden sichtbar und doch eigentümlich fremd. Helles Parkett für 70 Quadratmeter liegt auf dem Boden - als eingeschweißte, luftdicht verpackte, künstliche Holzbohlen ergibt es ein Karomuster diagonal zu den Wänden.

Was passiert hier? Menschen, deren abendliche Gesichter wie die Malerpappe, das Parkett, die Treppe, der Boden, die Wände durch das ungeminderte Neonlicht bis zur letzten Falte ausgeleuchtet werden, staksen über die Parkettbalken. Sie haben Bierflaschen in der Hand und beginnen nicht das Kiefernholz über das Linoleum zu verlegen, die schon gestrichenen Wände zu streichen. Sie sehen die Wand als gestrichene Wand und im Unterschied zu Fußboden. Sie sehen Parkett im Unterschied zu Linoleum. Sie sehen die Form der Treppe und erfahren die Ausdehnung des Raums.

Vor den nachtdunklen Scheiben sind ebenfalls Menschen – bunter, lauter, weniger feierlich als beleuchteten. Auch sie wollen trinken. Aber besonders wollen sie in das Techno-Konzert der benachbarten Kneipe. Sie sind neugierig, aufgedreht und provoziert von dem was sie beobachten:

"Ey, wasn das hier, hab ihr n' Bier" – "Dies ist eine Ausstellung". Innen und Außen, Raum in Ausdehnung und Kontext wird erfahrbar gemacht, wird eingenommen. Proportionen werden ebenso bewusst wie Materialien, deren haptische und deren optische Qualitäten. Hannes Kater und Hinrich Schmieta haben in der Leonhardstraße 7 gearbeitet. Es ist die temporäre Möglichkeit, sich der Architektur oder, um einen Handketitel zu zitieren, der Innenwelt der Außenwelt bewusst zu werden.

2. In den Räumen wird eine etwas aufgeräumte Arbeitssituation inszeniert, ein Atelierbesuch simuliert. Normalerweise ist ein Atelierbesuch bei einem Künstler mit einem Gespräch und dem Zeigen mehrerer Arbeiten verbunden. Eine so intensive Auseinandersetzung wird auf dem Rundgang kaum stattfinden, es wird also mehr die Arbeitssituation in der Klasse, an der Hochschule vorgeführt. Sicherlich nicht uninteressant, aber das eigentliche Interesse sollte sich doch auf die Endergebnisse der Arbeit konzentrieren.

3. Der Rundgang wird von den meisten Studenten in den künstlerischen Klassen sehr ernst genommen, oft wird er als Arbeitsmotivation oder Anlaß genutzt. Dabei richtet sich der Ehrgeiz nicht nur auf eine Präsentation nach außen, sondern (bei vielen sogar hauptsächlich) nach innen. Es geht um ein internes abchecken. Im günstigsten Fall kann ein Klima wie bei einer Fachmesse entstehen. Wieso also diese persönlichen Interessen nicht zum Thema machen, den Rundgang also für ein großes mehrtägiges Plenum nutzen. Denkbar wären sowohl ein großes, sich immer wieder neu konstituierendes und über mehrere Tage gehendes, autonomes Plenum der Studentenschaft, als auch verschiedene, von Fachklassenprofessoren (oder auch von Externen?) geleitete Plenen. Um diese Auseinandersetzung ungestört führen zu können, wäre der Rundgang nicht öffentlich. Selbstverständlich gäbe es zum Schluß noch einen Publikumstag - wo dann wieder niemand kommt. Aber das macht dann ja nichts...




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