Texte aus dem Jahr 2001
 

Into a world in a day
von Gabriele Mackert

Das Murmeln des Diskurses und das Rauschen der Bilder. Warum oder inwieweit ist das Sichtbare das Nicht-Diskursive? Sprechen ist nicht Sehen. Lesen ist nicht Sehen. Und Denken? In Bildern gar?
Sehen ist immer Denken, da Sichtbarkeit Struktur ist. (Wer sieht was wann wo?) Eben ganz gemäß des alten Schlagworts: Man sieht nur, was man weiß. Bildern wird eine Beziehung zur Gedankenwelt des Menschen zugesprochen, wohingegen Schreiben und Schrift eine Beziehung zu Sprache unterhielten. Der extremistische Querdenker Fritz Mauthner wiederum merkt in diesem Zusammenhang an, dass, wer glaube zu denken, sich gefälligst daran erinnern möge, dass er oder sie nur spreche: schließlich gäbe es keinen Logos über die Worte hinaus! Nun ja.

Foucault systematisiert die Beziehungen von Sicht- und Sagbarem als historische Stränge und Konstellationen und definiert diese Beziehungen als das jeweilige Wissen. Für ihn sind nicht nur Kurven und graphische Darstellungen Aussagen, sondern diese ihrerseits gewisse Arten von Kurven und Schaubildern. In ihrer kühlen Gleichungsart trägt diese Theorie der Abbildung von Welt auch Anklänge an die Vorstellung von Natur als Buch, also Lesbares Organisches – nur eben verschlüsselt, chiffriert, hieroglyphen- und formelhaft.

Darin spiegelt sich die Frage nach der Natur menschlicher Systeme:
Inwieweit sind unsere Wirklichkeitserfahrung und ihre Bedingungen organischer Natur. Sind sie willkürlich oder unterliegen sie unbewussten Regeln im Sinne von Instinkten? Serenus Zeitblom stellt in Thomas Manns „Doktor Faustus“ fest, dass die außerhumane Natur von Grund aus illiterat sei und dass eben dies ihre Unheimlichkeit ausmache. Die geheimnisvolle Natur lässt sich aber beobachten. Und zwar mit immer ausgereifteren Methoden der Messung oder der Teilung, durch Mikroskope, Thermometer, Röntgen, Ultraschall, Laser, Beschleuniger ... Die Naturwissenschaften geben den Umgang mit Technologien und Methoden und deren Entwicklung vor. Alle diese Unternehmungen zielen auf Lesbarmachung der Erscheinungen. Erkenntnis und Kontrolle.

Im Visuellen, nämlich genau dort, wo die Methoden der Sichtbarmachung analysiert werden, sind die verschiedenen Bereiche – Kunst, Wissen, (Macht-)Politik usw. – verknüpft vorstellbar. Also:
Nicht wie etwas aussieht, sondern wie etwas gezeigt, wie etwas sichtbar gemacht wurde, ist Gegenstand der Untersuchung. Und: Denken ist keine vorgegebene Fähigkeit und nicht von einer schönen Innerlichkeit, die etwa das Sichtbare und das Sagbare – oder andere Dichotomien – vereint, abhängig, sondern ein Arbeiten an den eigenen Sehweisen.

Eines der Phantasmen der Moderne ist Eindeutigkeit. Es zeigt sich z.B. im dekorfeindlichen Purismus der Architektur, im Ideal der reinen Poesie oder eben als Kommunikationsprinzip: Sender – Empfänger and back again. Wittgenstein etwa beklagt in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ (1918) Vieldeutigkeit und fordert eine Sprache, in der Zeichen eindeutig gebraucht werden. (Er greift damit z. B. Bacon und auch Leibniz mit seiner Analogie der Ordnung der Welt und der grammatikalischen Strukturen der Symbole und Sprachen auf.) Sein Frühwerk prägt ein systematisches, abstraktes, ideales Konzept des Denkens, der Sprache, der Welt. So solle der Satz die logische Form der Wirklichkeit aufweisen und umgekehrt: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, klingt es da im Ohr noch immer nach.

Wo Wittgenstein selbst später durch empirische Untersuchungen diese Systematik verlässt, ja, in der Überzeugung, dass philosophische Theorien einfache, aber nur scheinbar tiefe Bilder bieten, die für die tatsächliche Vielfalt der Realität blind machten, zu eben jenem:
Die Welt ist, was der Fall ist, kommt, da zeigt seine Rezeptionsgeschichte exemplarisch die herr-lichsten Stilblüten – hervorgerufen durch die Kategorik des „Tractatus“: Neben Fritz Mauthner ist Rudolf Carnap einer der prominentesten Vertreter des sogenannten Wiener Kreises.

Sich auf Wittgenstein beziehend versuchte Carnap in seinem Werk „Der Logische Aufbau der Welt“ (1922-25), ein System von Objekten und Begriffen zu errichten, welche alle aus einem Grundbestand von Urideen abgeleitet wären. Noch einmal blühte hier das enzyklopädische Projekt zu ungeahnter Größe auf. Frei nach Diderot: "Wir wissen, dass die Entfernung von der Erde zum Himmel unendlich ist, und unterlassen es trotzdem nicht, den Turm von Babel zu bauen.“

Die Welt besteht aus Ablagerungen; aus Dingen und Worten, aus Zonen des Sichtbaren und Feldern des Lesbaren. Die Erfindung von Sichtbarkeiten mittels Maschinen und die Produktion von Aussagen nach Verfahren, Automationen, Systemen orientiert sich nicht an subjektiver Expression oder täuscht dies vor, sondern vollzieht methodisch die reale, fortwährende Permutation von Bedeutungsstrukturen nach. Hier steht das Operativ-Programm, der Form- und Strukturplan im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Die Wiederholung von Elementen übt Zusammenhänge und Kontexte ein. Eine Aussage treffen. Immer wieder. Eine der wenigen, die im Fundus zur Verfügung stehen. Aussagen definieren sich durch einen spezifischen Bezug zu etwas anderem, das sie selbst betrifft. Sie werden reaktualisiert unter gleichen oder ähnlichen oder anderen Umständen. Oder aber andersherum: Dies zeigt auch, dass die Beziehungen hinter die Mächtigkeit des Materials zurücktreten. Sind Sprache und Bilder also mehr als Instrumente?

Sichtbarkeiten mögen nie verborgen sein, das heißt aber nicht, dass sie wahrnehmbar sind. Es geht nicht nur darum, „unsichtbare", weil verschlossene Dinge zu öffnen, also Aussagen zu treffen, sondern sie sprießen zu lassen und ihnen zuzusehen: Passive Produktion und Expansion als Gebrauchsweisen von Welt. Die Welt, die Repräsentation und das Subjekt arbeiten dann miteinander, machen Linien, nicht Punkte, wie Deleuze und Guattari forderten.

Text für den Katalog 'Der Zeichnungsgenerator' zu der gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Hannover 2001


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